Von Teambuilding bis Zirkus-Workshop: Wie Jugendherbergen neue Zielgruppen erreichen

Anbieter von betreuten Kinder- und Jugendfreizeiten, spezialisierte Unterkunft für Radtouristen, Abenteuerspielplatz für Familien, Seminarstandort für Azubigruppen – Jugendherbergen sind weit mehr als Übernachtungsorte für Klassenfahrten. Zwar machen die Schulausflüge nach wie vor den größten Anteil bei Gästen und Übernachtungen in den Häusern in Nordrhein-Westfalen aus. Doch mit passenden Angeboten schafft es das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH), sich auch abseits der klassischen Zielgruppe zu etablieren – angesichts sinkender Kinderzahlen in Deutschland ein wichtiger Schritt.

Vor allem Familien als wachsende Gästegruppe

Insbesondere Familien nutzen das Angebot der Jugendherbergen in NRW immer stärker. Schon vor der Corona-Pandemie sei dieser Trend klar zu erkennen gewesen, sagt Maike Braun, Pressesprecherin des DJH Westfalen-Lippe und ergänzt: „Mittlerweile entfallen bis zu 20 Prozent unserer Übernachtungen auf Familien.“  Ähnliches beobachtet das DJH im Rheinland. „Familien sind klar ein wachsendes Segment“, sagt Barbara Mott, Pressesprecherin der Jugendherbergen im Rheinland.

Und das DJH tut viel dafür, den Trend zu verstärken. Umfangreiche Angebote an Wochenenden und in den Ferien sollen Familien dazu animieren, ihren Urlaub in Nordrhein-Westfalen zu verbringen. Neben komfortablen Familienzimmern bieten die Jugendherbergen ihnen komplette Freizeitprogramme – und Begegnungen mit anderen Familien. „Jugendherbergen stehen für eine ungezwungene Atmosphäre, Kinder finden Spielgefährten, die Eltern quatschen am Lagerfeuer, alle spielen Spiele zusammen. Bei uns kann man Gemeinschaft erleben“, sagt Braun. Dabei reicht das Angebot vom Segelurlaub über Zirkus-Workshops oder Ritterprogramm bis zum Mutter-Töchter-Wellnesswochenende. Letzteres sei so stark gefragt, dass sogar Zusatztermine ins Programm genommen worden seien, erzählt Mott.

Mit ihren Angeboten nehmen die Jugendherbergen einen Trend auf: Erlebnis- und actionreich soll für viele der Urlaub sein. Und auch der Urlaub in der näheren Umgebung scheint gerade bei Jüngeren an Attraktivität zu gewinnen: „Viele Familien melden uns zurück, dass sie mehr Urlaub im eigenen Land verbringen möchten“, berichtet Mott. Durch geförderte Freizeiten für Familien mit geringem Einkommen wie die „Familienzeit NRW“ oder das Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“ während und nach der Corona-Pandemie seien zudem neue Gäste gewonnen worden.

Die Familienfreizeiten helfen, die Auslastung auch in den Zeiten zu erhöhen, in denen es keine Klassenfahrten gibt, also insbesondere in den Ferien und an den Wochenenden. Auch für Kinder und Jugendliche allein bieten gerade Jugendherbergen in ländlicheren Gebieten in den Ferien zahlreiche betreute Freizeiten an, um eine gute Auslastung zu gewährleisten. Daneben sind in den Ferien auch andere Freizeitgruppen in den Jugendherbergen zu Gast, etwa Trainingscamps von Sportvereinen, Chorfahrten oder Freizeiten von karitativen Einrichtungen, die zusammen nach den Schulklassen die zweitstärkste Gästegruppe der NRW-Jugendherbergen ausmachen.

Auch Radtouristen entdecken Jugendherbergen für sich

Neben Familien sowie Kinder- und Jugendgruppen kommen auch immer mehr Radtouristen in die nordrhein-westfälischen Jugendherbergen. „Gerade an den großen Radwegen sehen wir eine steigende Nachfrage“, sagt Mott. Oft seien es Familien, aber auch viele Paare. Hier kommt die wachsende Nachfrage ebenfalls nicht von ungefähr: Allein im Rheinland sind inzwischen 29 der 32 Jugendherbergen ausgezeichnete Bett+Bike-Betriebe, in Westfalen-Lippe tragen sogar alle 29 Häuser die Zertifizierung.

Jugendherbergen als Ort für Tagungen und Seminare

Ebenfalls anziehend ist die Nachfrage von Verbänden und Unternehmen. „Vor allem in unseren Großstadthäusern, aber zum Teil auch im Grünen werden unsere Jugendherbergen immer häufiger für Tagungen und Seminare genutzt“, erzählt Braun. Unter anderem führen Unternehmen Teambuildingmaßnahmen für ihre Auszubildenden durch, Verbände schulen ihre Freiwilligendienstler:innen, oft unterstützt von pädagogischem Fachpersonal der Häuser. Immer mehr Unterkünfte zwischen Rhein und Weser sind inzwischen für solche Veranstaltungen gerüstet. Andere Jugendherbergen haben sich mit besonderen Angeboten und spezieller Ausstattung etwa auf Musikgruppen eingestellt, wieder andere bieten einen sportlichen Schwerpunkt. Und auch auf Umweltthemen sind einige Herbergen spezialisiert, beispielsweise die Umwelt-Jugendherberge Brilon. Mit dem Pathpoint Cologne direkt am Kölner Hauptbahnhof ist zudem ein reines Backpacker Hostel im Portfolio des DJH. Diese Spezialisierungen dürften ebenfalls dazu beitragen, weitere Zielgruppen zu erreichen.

Dies ist aus Sicht der Jugendherbergen auch sinnvoll. Denn auch wenn das vergangene Jahr angesichts der Nachholeffekte zum Rekordjahr bei Klassenfahrten wurde, langfristig dürfte es in diesem Bereich herausfordernder werden. „Der Markt wird schmaler, weil es weniger Kinder gibt“, sagt Mott. Der Konkurrenzdruck steige dadurch. Durch ihr breites Angebot und die Erschließung weiterer Zielgruppen sehen sich die Jugendherbergen in Nordrhein-Westfalen aber gut gerüstet. Und auch dieses Jahr, da sind sich Braun und Mott einig, dürfte ein gutes Jahr für die Jugendherbergen im Land werden.

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