Trendmagazin Nr.3
Regionalität im Tourismus© Ralph Sondermann, Tourismus NRW e.V.
Trendmagazin Nr.3
Regionalität im Tourismus© Ralph Sondermann, Tourismus NRW e.V.
Regionalität – mehr als „das neue Bio“
Aus der Region – das hören und lesen wir in jüngster Zeit sehr oft. Am häufigsten im Supermarkt, wo dieser Hinweis gleich im ersten Moment unser Vertrauen erwecken soll. Weil das Thema Regionalität längst nicht nur dort eine herausragende Rolle spielt, möchten wir die aktuelle Ausgabe des Trendmagazins dem Trend „Regionalität“ widmen, ganz genau hinschauen und uns die Frage stellen, welche Potenziale dieser Trend für uns als Touristiker bereithält und wie wir in NRW von ihm profitieren können. Studien beweisen: Das Thema Regionalität spielt für Verbraucher mittlerweile eine sehr große Rolle. Regionalität ist auch eine Einstellung geworden.
Unser Titelbild zeigt dieses Mal Gummistiefel – eine gängige und sicherlich zutreffende Assoziation, wenn es um das Thema Regionalität und regionale Produkte geht. Viele Spezialitäten unseres Landes, wie zum Beispiel Spargel und Rübenkraut, werden inzwischen von der EU geschützt. Dies ist auch zahlreichen Initiativen zu verdanken, die sich im Bereich der Lebensmittelproduktion engagieren. Der Tourismusverband hat dieses Potenzial erkannt und setzt mit seinem Projekt „Gutes aus NRW genießen“ genau dort an, um regionale Produkte und Produzenten mit Touristen zusammenzubringen.
Doch über die Arbeit auf Feldern und Äckern hinaus berührt das Thema Regionalität viele Wirtschaftszweige, die eng mit dem Tourismus verbunden sind oder verbunden werden können. Wir möchten die Aufmerksamkeit mit dieser Ausgabe des Trendmagazins dorthin lenken und uns Gedanken darüber machen, wie auch andere touristisch relevante Themen den Trend Regionalität begründen oder sich aus ihm ableiten lassen.

Geschäftsführerin Tourismus NRW, Dr. Heike Döll-König
Ein grenzenloser Trend
Dass sich „Regionalität“ in den letzten Jahren zu einem Trendthema entwickelt hat, ist für uns bei fast jedem Einkauf erlebbar: Regionale Produkte tragen besondere Kennzeichnungen und in den Supermärkten können sich Kunden inzwischen durch ganze Regalgassen mit regionalen Erzeugnissen bewegen. Regionalität ist dabei, besonders was die Themen Lebensmittel, Genuss und Gastronomie angeht, zu einer Alltagserfahrung zu werden. Durch den Einzelhandel, die Gastronomie, das produzierende Gewerbe und die Politik, nicht zuletzt auch durch den Tourismus: Das Thema Regionalität ist vielseitig besetzt. Die Frage lautet: Wie genau erfolgt diese Besetzung? Und: Kann uns dieser Trend und damit die Fokussierung auf das Regionale im Tourismus nützen?
Zunächst ist wichtig zu klären, was Regionalität überhaupt bedeutet. Geht es tatsächlich nur ums Essen? Und was ist überhaupt eine Region?
Um es gleich zu Beginn zu sagen: Eindeutige Antworten darauf scheint es nicht zu geben. Schon der Begriff „Region“ ist kaum zu fassen. Es gibt politisch-administrativ definierte Regionen, historisch gewachsene, geografische Regionen oder Regionen als statische Einheiten. Die Vorstellung von Regionalität unterscheidet sich auch nach Herkunft des Verbrauchers: Sind im Norden Deutschlands Produkte aus dem eigenen Bundesland noch „regional“, sind es im Süden oft eher kleinräumige Gebiete, in denen aus Sicht der Kunden die Bezeichnung „regional“ akzeptiert wird. Fest steht: Die Region wird zumeist zwischen Kommune und Nationalstaat eingeordnet. In diesem Dazwischen liegt der Trend, dessen Ausmaße sich auf die Lebensmittelindustrie, die Gastronomie, unsere Ernährung und Wohlbefinden allgemein, aber auch die Wirtschaft und den Tourismus, um nur einige Bereiche zu nennen, direkt auswirkt: Regionalität und der Hype um Regionales.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Trend hin zum Regionalen, wie eingangs beschrieben, vor allem im Bereich der Ernährung und Lebensmittel sehr präsent. Schon 2011 stellt Johannes Remmel, damals Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes NRW, im Vorwort der Broschüre >„Ernährungswirtschaft in NRW. Qualität und Genuss aus der Region“< fest:

„In Nordrhein Westfalen liegen die Absatzmärkte vor der Tür, denn nirgendwo in Deutschland gibt es so ein dichtes Nebeneinander von ländlichen Kulturlandschaften und stark besiedelten Industrieregionen. Daher überrascht es nicht, dass die Nachfrage in Nordrhein-Westfalen nach heimischen Produkten steigt, zumal regionale Produkte einen Vertrauensvorschuss haben“.
Welche Wertschöpfungspotenziale außerdem vor der Haustür entstehen und wie Wirtschaftskreisläufe zu Gunsten der Umwelt, Effizienz oder besseren Vermarktbarkeit ebendort geschlossen werden können, sind die Themen, um die es in der aktuellen Ausgabe des Trendmagazins gehen wird. In der aktuellen Ausgabe schauen wir auf den Trend Regionalität und seine Bedeutung für den Tourismus.
Regionales aus der Region
Bio war gestern, heißt es. Denn: Nicht nur das Produkt an sich soll vertrauenswürdig sein. Gerade aus der Lebensmittelbranche hören wir von einem Nachfragetrend, der sich vom reinen Materialismus abwendet und auf Sinnsuche geht: Immerhin wollen 88 Prozent der Befragten aus einer >Umfrage der Stiftung Warentest< die Wirtschaft vor Ort stärken.
Käufer möchten Verantwortung übernehmen und mit ihrer Handlung Einfluss ausüben. Nachhaltigkeit und Umweltschutz spielen in diesem Kontext eine besonders große Rolle: Was in der Nähe hergestellt wurde, wird über kürzere Transportwege herangeschafft und belastet die Umwelt damit weniger stark.
Die Massenproduktion in weit entfernten Produktionsstätten wird zunehmend kritisch beäugt – weil der Käufer sich nicht mehr sicher sein kann, was dort in der Ferne vor sich geht. Andererseits gibt es Produkte, die sich in der Ferne nachhaltiger herstellen lassen als Zuhause. Dies ist einer der Gründe, warum sich das >Fair Trade Siegel< derzeit einer so großen Beliebtheit und Vertrautheit erfreut. Für vor Ort produzierte Güter zahlen Verbraucher bereitwillig einen höheren Preis – was die Kennzeichnung „regional“ auch für diejenigen attraktiv werden lässt, die Regionalität eher großzügig auslegen. Die pure Heimatliebe ist ein weiterer Faktor, den die >GfK< für die Kaufentscheidung pro regionale Produkte verantwortlich macht.
Loyalität zum eigenen Standort
Materielles verliert an Bedeutung gegenüber hedonistischen Selbstverwirklichungswünschen, wie die Sozialwissenschaftler >Klein und Pötschke< feststellen. Was sich im Zuge dessen abzeichnet, ist eine – auch hedonistische – Loyalität zum eigenen Standort. Diese Loyalität ist für Ortsansässige mitunter natürlich, für Fremde besonders attraktiv: Einen Ort durch die Augen eines „Locals“ zu sehen ist gefragter denn je, wie auch die Erlebnisangebote von Airbnb, „Airbnb Entdeckungen“ beweisen. Angebote werden von den Anbietern sehr häufig mit den Attributen „authentic“ und „like a local“ versehen. Genau hier setzt eine wichtige Aufgabe touristischer Akteure in den DMOs und LMOs an: Als Experten für ihre Regionen verfügen sie über das gesammelte über Spezialwissen der „locals“, bereiten es auf und stellen es zur Verfügung.
„Made in germany“ im Detail
Auf NRW bezogen ergibt sich aus der Hinwendung zum Regionalen: Produkte sind nicht mehr nur dann interessant, wenn sie „made in Germany“ sind.
„Made in der Eifel“ und „made im Bergischen Land“ generieren ebenso Begeisterung, Vertrauen und eventuell auch Käufer – was die vielen bewährten und in der jüngsten Zeit entstandenen Regionallabels unter Beweis stellen.
Im noch enger umgrenzten Bereich des Lokalen setzt sich dieser Trend fort: „Hyperlocal“ nennt das >zukunftsinstitut< die humorvolle und unbeschwerte Aufmerksamkeit für einen konkreten Ort und seine Eigenheiten. Eine Bewegung, die nicht ganz so sehnsuchtsschwanger, nicht ganz so streng im Traditionsbewusstsein und weniger der Heimat- und Brauchtumspflege verpflichtet ist.
Diese Begeisterung für Heimisches ist dabei keineswegs auf Ess- und Trinkbares allein beschränkt. Kultur und Subkultur, Handwerk, Design, Kosmetika und Wellness allgemein sind Bestandteile des Trends. Manufakturen und Mikrounternehmen erleben eine Renaissance in den Städten, aus denen das Zeitalter der Industrialisierung sie sukzessive vertrieben hatte. Ein beschwingter Lokalpatriotismus erhält Einzug. „Made in Nippes“ ist etwa die Kleidung der Kölner Firma „Trois Rois“, um die es in einem späteren Kapitel noch gehen wird. Unter anderem führt dies dazu, dass Nachbarschaften, Viertel und Quartiere zu neuem Leben erwacht, das auch abseits etablierter Shoppingmeilen gedeiht.
Kleine und große Bewegungen
Vom Ort zurück in die Region: Trendige Bottom-up-Erscheinungen wie nachbarschaftliche Urban Gardening-Projekte oder Stadtteil-Marken, also von Einzelpersonen aus Eigeninitiative gestartete Unternehmungen, stehen Top-down-Maßnahmen politischer Akteure gegenüber. Denn auch an dieser Stelle wird die Wichtigkeit des Faktors Regionalität erkannt und politisch gelenkt.
Die REGIONALEN in NRW sind beispielsweise Strukturprogramme, in der federführende regionale Institutionen mit ihren Projektvorhaben um die Fördergelder zur Umsetzung in einen Wettbewerb treten. Seit 2010 werden sie im Abstand von zwei bis drei Jahren durchgeführt und umgesetzt, aktuell unter dem Motto >„ZukunftsLAND“< im westlichen Münsterland. Die Bandbreite der Projektideen ist mannigfaltig: Das Projekt >GrünSchatz< beispielsweise testet neue Saatgutmischungen aus heimischen Wildpflanzen. Die Pflanzen sollen nicht nur ertragreich sein, um in Biogasanlagen verwertet zu werden, sondern auch ökologisch wertvoll sein und das Landschaftsbild bereichern – als Alternative zum Maisanbau.

Auf der Grenze zwischen bottom-up und top-down agiert das von der EU geförderte Projekt >„NRW als Destination für urban Lifestyle und Szene“< oder kurz: #urbanana. Es verknüpft lokale und regionale Akteure in den Regionen Ruhrgebiet, Düsseldorf und Köln mit der Tourismuswirtschaft, um die Bekanntheit der unentdeckten aber reichhaltigen örtlichen Szenen in Bereichen wie Design, Festivals und Mode zu steigern und Reiseanlässe zu stiften. Im Zuge dessen sind beispielsweise >Sonderausgaben dreier Stadtmagazine< entstanden. Die Magazine und Blogs, aus denen heraus die Sonderausgaben entstanden sind, gab es zwar bereits – allerdings ohne englische Ausgabe und ohne den Touristen dezidiert anzusprechen.
Aus der Hinwendung zu Lokalem und Regionalen, dem Anspruch der Transparenz, Nachhaltigkeit, Authentizität und Loyalität folgend, entstehen neue Produktideen in unterschiedlichsten Themenbereichen. Welche Ideen und konkrete Produkte das im Einzelnen sind und wie sie vermarktet werden, ist Gegenstand der folgenden Kapitel.
Themen und Produkte
Was eine Region ausmacht, ist häufig Ansichtssache. Denn: Eine Region ist nur bedingt natürlich gegeben – zum größten Teil ist sie ein Bündel von Kriterien entsprechend einer bestimmten Intention. Blickt die Wirtschaft auf eine Region, zieht sie andere Grenzen als beispielsweise Geographen oder die Bewohner selbst. Und der Tourismus? Viele Themen, die eng mit der Regionalität verknüpft sind oder die Regionalität selbst zum Thema haben, hat der Tourismus bereits erkannt – oder umgekehrt.
Vermarktung und Kommunikation
Dass die Aufmerksamkeit für regionale Besonderheiten und Errungenschaften zunächst auf die Region begrenzt ist, liegt in der Natur der Sache. Wie das Regionale auf andere Ebenen und größere Bühnen gebracht werden kann, ist in vielen vorangegangenen Passagen schon angedeutet worden.
Die Region sprechen lassen (1): NRW Genuss-Botschafter
Das Genuss-Thema ist, wie hier und da schon deutlich wurde, eng mit herausragenden Persönlichkeiten verbunden. Die Genussbotschafter, die Tourismus NRW ernannt hat, sind herausragende Persönlichkeiten, die jeweils für die besondere Küche in ihrer Region stehen. Sie sind die authentische Verkörperung von Qualität und Regionalität und fungieren dabei als offizielle Repräsentanten ihrer Region und als kommunikatives Element der Produktmarke. Im April dieses Jahres haben sich die Botschafter erneut und für weitere 24 Monate dazu verpflichtet, die charakteristische Kulinarik in den unterschiedlichen Regionen NRWs als qualitätsbewusste Anbieter und Gastgeber zu repräsentieren. Im Klartext bedeutet dies, dass sie sich zur Verbreitung und Unterstützung von Speisen und Produkten aus der Region verpflichten.

Die Region sprechen lassen (2): Mit Protagonisten NRW #neuentdecken
Auf der ITB im März 2017 präsentierte der Verband unter dem Motto NRW #neuentdecken seine neue Kommunikationskampagne und damit ihre ersten >drei Protagonisten<: Die berühmte Kölner Architektenfamilie Böhm, eine junge Frau, die in Münster als einzige Türmerin Deutschlands arbeitet und eine Opernsängerin aus dem Neanderland, die sich als Falknerin ganz der Natur verschrieben hat.
Im Mittelpunkt der noch laufenden Kampagne stehen die ganz persönlichen Geschichten von Menschen aus dem Land. Dabei zeichnet die Menschen immer etwas anderes aus: Mal sind sie und ihr Schaffen über die Grenzen NRWs bekannt, wie die Familie Böhm. Oder sie stehen für eine besondere Tradition aus NRW, wie die Türmerin aus Münster. Oder aber, sie vereinen in ihrem Tun überraschende Themenkombinationen, die auch mit regionalen Klischees spielen.

>Timo Eckstein< würde wohl in die letztgenannte Kategorie fallen: Zwar übt er einen der traditionsreichsten Berufe im Rheinland aus: Er ist Köbes in Köln. Doch nimmt sich seine Heimatverbundenheit eher unkonventionell aus: Über sein Stadtlabel Trois Rois verkauft er mit einem befreundeten Grafikdesigner T-Shirts, Tassen und Kappen, mit denen die Käufer ihrer Liebe zu Köln Ausdruck verleihen. Damit bespielt er das hyperlokale Bekenntnis zum Ort: Köln sei die Stadt, in der die meisten Devotionalien an die eigenen Leute verkauft werden, vermutet er augenzwinkernd.
Auch das Heinsberger Land lässt die Region sprechen – in diesem Jahr haben sie ihren >Hastenraths Will<, einen bekannten und bekennenden Markenbotschafter in das touristische Rennen geschickt. Als bodenständig und heimatverbunden gilt er, außerdem als urkomisch. Als etablierter Kabarettist wird er das Heinsberger Land nun auf die Bühnen NRWs bringen, so der Plan.
Etablierte Akteure aus der Region für die Region sprechen zu lassen ist auch die Herangehensweise vieler Maßnahmen aus dem bereits erwähnten Projekt >„NRW als Destination für Urban Lifestyle und Szene“< oder: #urbanana. In diesem Fall bilden die Projektpartner Köln, Düsseldorf und das Ruhrgebiet eine große Städteregion, die für den mobilen und spontanen Kurzurlauber leicht zu erschließen ist – dank der gut ausgebauten Infrastruktur und kurzen Transferzeiten. Eine Maßnahme ist das weiter oben erwähnte Heimatdesign-Magazin. In diesem >„Guide tot he West“< kommen lokale Akteure aus den Bereichen Kunst und Design zu Wort und erzählen von ihren Lieblingsorten und Plätzen in der Region.
Das gerade angelaufenen EFRE-Projekt >„Local Emotion“< (Niederrhein Tourismus) setzt ebenfalls auf Lieblingsorte, Geheimtipps und schließlich das Gefühl von Heimat in der Fremde. Alltagskultur und Lokalkolorit – damit möchte der Niederrhein künftig Touristen in die Region holen und von der Region überzeugen. Die ersten Maßnahmen laufen nun an.
Für eilige Leser: Zusammenfassung in sieben Thesen:
Langfassung als Download
Wer noch etwas mehr über das Thema Regionalität in der Tourismusbranche wissen möchte, findet hier eine Langfassung des Textes als pdf zum Download.
Stand: November 2017